Das breite Alai-Tal lassen wir hinter uns und begeben uns voller Vorfreude, jedoch auch mit etwas gemischten Gefühlen auf den „Pamirskiy Trakt“, dem Pamir-Highway, nach dem Karakorum Highway die zweithöchst gelegene befestigte Fernstraße der Welt. Zwei Grenzen und ein Aufstieg zu dem 4280m hohen Kyzel-Art Pass trennen uns von unserem heutigen Ziel. Unsere Radtaschen mussten wir zwar zweimal auspacken, doch die kirgisischen Grenzer und Zollbeamten meinten es gut mit uns und so wurde – soweit es ging – sogar über deutschen Fussball geplaudert. Der Pamir Highway ist die Hauptdrogenader Asiens und so kämpft man nach wie vor gegen den Rauschgiftschmuggel aus Afghanistan an.
Ist der kirgisische Grenzposten überwunden, hat man die Hälfte des Kontroll-pensums geschafft, denn 25km und einen kräfteraubenden Aufstieg weiter muss man die tadschikische Grenze überqueren. Hier kommt es häufiger vor, dass die Zöllner auf Motivationsscheinchen spekulieren.
Zwischen den beiden Ländern befindet sich ein Streifen Niemandsland, um den sich keiner kümmern möchte. Wir bekommen das besonders an den Pistenverhältnissen zu spüren. Bisher waren wir von den überraschend gut asphaltierten Straßen verwöhnt, die uns durch Weite Teile Kirgistans geführt hatten. Damit war hier jedoch endgültig Schluss. Die Piste ist staubig, steinig, ungemein steil, hat an einigen Stellen über 12% Steigung und ist teilweise von Wasser über- und unterspült. Zu Sowjetzeiten hätte man hier wohl eine gut ausgebaute Straße vorgefunden. Kurz nach der Gründung der Tadschikischen Sozialistischen Sowjetrepublik im Jahr 1929 hatte man mit Errichtung des Pamir Highways begonnen. Schon im Jahr 1932 hatte man eine ca. 700 km lange Strecke von Osch bis Khorugh fertiggestellt, die bis 1940 um den 500 km langen Abschnitt bis Dushanbe erweitert wurde. Unter den Sowjets galt der Pamir Highway somit als eine bauliche und ideologische Meisterleistung.
Ursprünglich kam dem Pamir-Highway eine rein militärische Bedeutung zu, diente zu Sowjetzeiten aber auch der zivilen Versorgung. Um die laufende Instandhaltung des Pamir Highways aufgrund der großen Höhe und sehr tiefen winterlichen Temperaturen zu gewährleisten, wurden Straßenmeistereien angelegt, die bis heute noch bewohnt sind. An der wohl Markantesten kommt man am Kyzyl Art Pass vorbei. Von Zeit zu Zeit zogen Familien nach und Häuser wurden erbaut. Andere Berufe entstanden – die Kinder mussten zur Schule gehen, die Ernährungs-versorgung sichergestellt und Kranke geheilt werden. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entstanden so einige Siedlungen wie Karakul, Murghob und Alichur in wohl einer der lebensfeindlichsten Regionen auf der Erde.
Auf dem Dach der Welt angekommen, öffnet sich das Tal zu einem Hochplateau mit unglaublicher Schönheit, dem Maransu-Tal, das Tal der tausend Tornados. Die Wüstenlandschaft und die schneebedeckten Berge bilden einen eindrucksvollen Kontrast. Das sind die Momente, die man für die gesamte Strampelei in Kauf nimmt.
Unglaubliche Farbenvielfalt der kahlen Berge bedeutet, dass hier allerhand Bodenschätze vorkommen, die vielleicht doch irgendwann einen Abbau lohnen. Für die von Armut gekennzeichnete Region würde dies Reichtum bedeuten. Als Pamir-Reisender darf man sich solch ein Szenario von lauten Baggern und schwerem Fördergerät , Abraumhalden, Staub und Kipperkolonnen, die Erz ins Reich der Mitte transportieren, ganz geschwiegen von mit Schwermetallen und Schwebstoffen belastete Flüsse, nicht vorstellen. Es bleibt zu hoffen, dass diese einmalige Gebirgslandschaft so natürlich wie möglich erhalten bleibt. Ein erster Schritt in diese Richtung ist getan und so hat man Teile des Pamirs als Nationalpark und UNESCO-Welterbe erklärt. 2014 wurde der hohe Pamir, sowie unweit liegende Regionen, wie das Bartang-Tal und der Wakhan-Korridor, zu den Top100 Green Destinations gewählt. Wir werden sehen, ob diese Signale ausreichen werden.